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Kunstvermittlung - Zilla Leutenegger

Zilla Leutenegger: Wichtiger Besuch
Gedanken zur Austellung im Saarlandmuseum

Wer ist der wichtige Besuch? Der Ausdruck "Wichtiger Besuch" rührt von verschiedenen SMS her, die Zilla Leutenegger von einem Freund bekam, den sie besuchen wollte. Er schickte ihr immer vorher eine SMS, in der dieser Ausdruck vorkam. Sie war der wichtige Besuch. So wie sie als Freund in eine Wohnung und das Leben eines anderen kam, findet sich der Besucher der Ausstellung in dieser Position. Er darf in die Privatheit anderer Leben hineinschauen.

Wohnung: Privatsphäre - Individuell, aber jeder hat eine Wohnung. In der Ausstellung sind in einer Wohnung verschiedene Arbeiten zusammengefasst. Die Wohnung vom Grundriss betrachtet, stelle eine nicht ganz festgelegte standardisierte Wohnung, wie sie in heutigen Wohnanlagen vorkommt, dar. Sie besteht aus einem offenen Wohnraum, in den man ohne Übergang gelangt. In dem Wohnraum befindet sich auch die Treppe nach oben. An den Wohnraum schließt sich eine Küche, ein Schlafzimmer und ein Bad an. Im Widerspruch zum Grundriss verhalten sich die Ausformungen der Fenster, die auf einen Altbau schließen lassen. Ein so offener Grundriss ist mit alter Bausubstanz nur schwer vereinbar. Diese Widersprüche finden sich in vielen Details der Arbeiten von Zilla Leutenegger, der es nicht um die Darstellung einer stringenten Wirklichkeit geht. Die Widersprüche werden den meisten Betrachtern wahrscheinlich auch nicht auffallen. Die Werke evozieren eine Art Traumwelt und dort gelten andere Regeln. Der Traum ist ein Spiegel unseres Lebensumfeldes. So ist dieser Wohnung ein Spiegel, in dem man verändert, verzerrt und summiert die Wohnung als solches erblickt. Die einzelnen Räum sind aus verschiedenen Bildern entstanden, die Zilla Leutenegger zufällig vor Augen hatte. Sie stammen aus Zeitschriften oder sind Wohnungseinblicke, die sie gesehen hat. Dabei geht es nicht um die Wohnung an sich, sondern um das Bild, welches in der Künstlerin haften blieb. Unsere Erinnerung arbeitet nicht fotorealistisch. Die Zeichnungen kommen unserer Erinnerung viel näher als ein Foto. Sie zeigen, wie wir gesehenes beim Speichern verändern.

Bühnenbild: Die Wohnung und die einzelnen Arbeiten enthalten keine Erzählung, sie sind ein Bühnenbild. Zilla Leutenegger #formuliert dies auch konkret, indem sie sagt, dass sie Bühnenbilder baut, aber das Stück dazu nicht schreibt. Es bleibt dem Betrachter überlassen, sich die Geschichten zu den Situationen auszudenken. Die Wohnung ist auch wie auf der Bühne nur Staffage, die Rückwände sind nicht verkleidet, so dass die Konstruktion von hinten sichtbar bleibt. Der Abstand zu den Außenwänden verstärkt diese Bühnenwirkung.

Zeit im Loop: Die Bewegungen erzeugen keine Spannung oder Erwartung, sie lösen das Werk von dem bestimmten interpretierenden Augenblick eines Bildwerkes.

Virtualität: Was ist virtuell? Wie viel der Realität entsteht in uns selber? Was ändert sich beim Loslösen von der sichtbaren Welt? Die zunehmende Virtualisierung und Medialisierung verändert den Umgang mit der Privatsphäre. Es ist heute leichter in der eigenen Wohnwirklichkeit Kontakt nach außen aufzunehmen. Nach den Medien, die nur in eine Richtung Informationen senden, wie Radio und Fernsehen, vermehren sich die Medien die Interaktionen erlauben. Das Telefon und das Internet ermöglichen die Kontaktaufnahme mit der ganzen Welt in den eigenen vier Wänden. Mit dem Handy sind Menschen an jedem Ort mit der ganzen Welt verbunden. Das Deaktivieren des Handys stellt dabei heute einen Akt des zivilen Ungehorsams dar, obwohl dabei nur ein Zustand erzeugt wird, der vormals die Regel war. Privatheit wird dabei zu einem besonderen Gut, ebenso wie Einsamkeit. Vor diesen Medien war das Private ein Rückzugsraum, in den Außenstehende kaum Zutritt hatten. Diese Grenzen beginnen sich aufzulösen. Das Private erfährt dabei eine Neudefinition. Durch die Medien, gibt es die Möglichkeit jederzeit in alle Bereiche einer anderen Person einzudringen. Allerdings erfährt man dabei meist mehr über sich selber als Betrachter als über die beobachtete Person. Die neuen Möglichkeiten sind weit davon entfernt mit ihrer Observierung, den Menschen bloßzustellen. Auch wenn ich alles von einem Menschen gesehen habe, kenne ich ihn immer noch nicht ganz. Es bleibt Interpretation.

1D => 2D => 3D =>4D: Die Arbeiten von Zilla Leutenegger springen in den Raumdimensionen, dabei gleichen sich die Dimensionen durch Abstraktion an. Die teilweise Perspektivischen Zeichnungen nutzen die Strichzeichnung und erhalten eine comicartigen Ausdruck dadurch. Die Perspektive wird nicht als Mittle zur Tiefenerzeugung genutzt, sondern nimmt Bezug zur Fläche des Hintergrundes. An einigen Stellen sind Gegenstände plastisch gebaut, aber ganz in weiß gehalten, damit sie mit der Zeichnung korrespondieren. Ebenso bringen die Loops Zeit mit in das Bild hinein. Durch ihre erzählende Inhaltslosigkeit entsteht dabei aber der Eindruck von Schweben und Zeitlosigkeit. Die vier Dimensionen nehmen Bezug zueinander auf und gleichen sich an.

Zeichnung - Realität - Abstraktion: die Bildaussagen werden auf ein Minimum reduziert, der Inhalt ist zusammengesetzt aus persönlichem Erleben der Künstlerin und Bildern, die ihr Begegnen.

Symbole: Durch die Reduzierung der Dargestellten Inhalte und die Strichzeichnung, wird den einzelnen Gegenständen eine größere Wichtigkeit zugemessen. Die Gegenstände sind teilweise an die Wand gezeichnet, setzen sich im Raum fort oder einzelne Möbelstücke sind direkt dreidimensional (Schrank, Waschbecken, Tisch, Treppe) gebaut. Der Schrank im Schlafzimmer ist das einzige raumgreifende Möbelstück hier. In der Kunst steht der Schrank für das Weibliche und Häusliche, aber auch für verborgene Geheimnisse. Im künstlerischen Prozess ist dieser Symbolgehalt für Zilla Leutenegger nicht wichtig, aber in unserem Unterbewusstsein spielen diese Symbole weiterhin eine Rolle.

Individuum und Gesellschaft: In den Werken sind immer die Personen projiziert, sie sind vergänglicher als der Rest. Die dargestellte Person in den Werken ist immer die Künstlerin selber. Sie steht stellvertretend für die restliche Menschheit. (Wie viel Welt bin Ich? - Wie viel Ich ist in der Welt?) Für Zilla Leutenegger sind die dargestellten Personen auch immer weiblich, allerdings nehmen die dargestellten Szenen nicht Bezug auf weibliche oder feministische Themen. Durch das Mittel der Strichzeichnung und der verfremdeten Videoaufnahmen, sind die Personen stark entindividualisiert. Sie weisen kaum Persönlichkeitszüge auf. Der Betrachter nimmt einen kurzen Zeitabschnitt auf, der sich immer wiederholt. Trotz der vergehenden Zeit entsteht durch die Erzähllosikeit der Handlung eine Art Schwebezustand, der die Zeit zum stehen bringt. Dieser Schwebezustand unterscheidet sich von dem festgehaltenen Augenblick in einer reinen Zeichnung. Zilla Leutenegger schafft dabei eine Distanz zur sichtbaren Welt, die sonst nur die abstrakte Malerei herstellen kann.

Die Personen sind immer alleine, bei einer Tätigkeit, die nicht beobachtungswürdig ist. (Voyeur? oder besser Voyeur des eigenen Selbst) Beim Betrachten könnte Peinlichkeit auftreten, wenn es sich um konkrete Personen mit einer eigenen Geschichte handeln würde. Durch die Reduzierung separieren sich die Szenen nicht vom Betrachter, sie halten einen Schwebezustand zwischen der künstlerischen Aussage und der eigenen Interpretation. Das Wort Interpretation ist dabei aber schon falsch, da die Werk nicht interpretierbar sind. Man kann nur über sie reden oder schreiben. Der eigentliche Inhalt entsteht zusammen mit dem Betrachter und verschwindet ohne ihn. Über den künstlerischen Anteil lässt sich Spekulieren und man wird sicherlich fündig in der Biographie der Künstlerin. Für die Betrachtung der Werke ist dies allerdings völlig irrelevant.

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